Samstag 07.09.2019
Schon die Tage vor dem Sturm habe ich/ haben wir, viel vorbereitet. Wasservorräte gekauft, Brauchwasser im Keller deponiert, Auto voll getankt, 60 Liter Benzin in Kanistern gekauft. Eigentlich hätte ich gerne ein Notstromaggregat da. Das sollte jedoch zum Stromverbrauch des Hauses passen und der Elektriker hat erst Ende nächster Woche Zeit vorbei zu schauen.
Gordy, unser Nachbar, meinte es gab noch nie länger als 24 Stunden Stromausfall hier.
Wir haben Essen vorgekocht, harte Eier gekocht, Wasser in Edelstahl Trinkflaschen gefüllt, heißes Wasser in Thermosflaschen gefüllt (<–guter Shop übrigens). Große 4 Liter Wasserflaschen eingefroren um den Kühlschrank zu kühlen, Batterien in Lampen getauscht. Die Badewanne am Samstag mit Wasser gefüllt. Kerzen aus dem Keller geholt, den Campingkocher Probelaufen lassen.
Was man eben so alles macht, um sich vorzubereiten.
Wir sind vorbereitet. Denken wir zumindest.
Christine kocht noch Spätzla, da schwankt der Strom schon. Der Ofen zeigt PF (Power failure). Puh, nur kurz.
Es windet draußen sehr heftig. Die Bäume biegen sich. Da wird es einem schon etwas mulmig, zudem wir relativ große Bäume ums Haus haben. Man macht sich so seine Gedanken.
Ich bin angespannt. 100 Dinge gehen mir durch den Kopf. Ein Bekannter aus Bridgewater schreibt, dass er in 60 Jahren noch nie seine Fenster vernagelt hat, heute schon. Na das gibt Hoffnung.
Sollen wir noch einen Notrucksack packen und Schlafsäcke ins Auto laden, falls wir hier weg müssen.
Es sind immerhin 12 bis 15 Meter hohe Wellen vorhergesagt, wir wohnen nur 30 Meter vom Atlantik weg.
Das Kopfkino rattert.
5 Minuten später fällt der Strom aus. Es ist ziemlich genau 15 Uhr in Nova Scotia.
Nicht so schlimm, ich kann am Laptop noch bissel was vorarbeiten. Mit Blick direkt zum Meer liegt mein Büro wirklich idyllisch, wenn der Regen jedoch waagrecht kommt werden die Fliegengitter am Fenster zu einer undurchsichtigen Sache. Die Hauptwetterseite trifft also direkt auf mein Büro. So entschließe ich mich alle Verkabelungen, PC, Drucker, 2 Telefone, Bildschirme und den Server lieber in einen anderen Raum zu bringen.
Siehe da, der erste Teil eines riesen Ahorn im Vorgarten fällt gerade um. Zum Glück nicht richtung Haus.
Der Teich hinter dem Haus ist in 30 Minuten so gestiegen, dass der quer auf dem Wasser liegende Baum nicht mehr zu sehen ist. Normal ragt er ca 1 Meter über dem Wasser hinein.
Die Enten freut es, sie schwimmen bei uns im Gras umher und fressen gemütlich, vor ein paar Minuten haben sie sich noch entspannt im größten Sturm und Regen geputzt.
Das sind kanadische Enten, die haben die Ruhe weg.
Zwei Reiher stehen im See und warten den Sturm ab.
Die Kinder freut es.
Ich sage noch, solange das Wasser nicht in den Keller kommt ist ja alles gut. Noch nicht recht den Mund zu, pfeift der Wassermelder im Keller. Es ist 16 Uhr.
Ja, blöd.
Draußen regnet es wirklich wie aus Kübeln. Man sieht die Hand vor den Augen nicht mehr so heftig regnet es.
Wahnsinn.
Nach 12 Wochen Trockenheit.
Ok, das Wasser steigt schnell im Keller.
Wir nehmen Schüsseln und Lumpen um den Wassermassen Herr zu werden.
Video von Hurricane Dorian ca. 1 Stunde vor dem eigentlichen Hurrikan:
Beim “Wasser aus dem Keller vor die Türe schütten” kommt Gordy, unser Nachbar, rüber und fragt ob wir Hilfe brauchen. Yes, we have water in the basement.
Lisa kommt auch rüber und hilft uns Wasser zu schöpfen. Nach 10 Minuten sagt sie, sie müsse mal wieder zu sich schauen, sie hätten auch Wasser im Keller.
Die Kanadier haben da die Ruhe weg.
Es ist gerade Wasserhöchststand (Flut technisch) so kann das Wasser auch schlecht abfließen.
Nur um die Eimer auszuleeren kommen wir an die Oberfläche und sehen wie es abartig stürmt und regnet.
Nach 2,5 Stunden sind wir ziemlich erschöpft vom Wasser schleppen und Schöpfen. Die Kinder helfen fleißig mit, Barfuß im kalten Wasser. Naja ihre Mutter macht das auch so, dann wird das wohl passen ;))))
Es regnet weniger und stürmt nur noch. Gegen 18.30 Uhr kommen wir ziemlich geschafft aus dem Keller. Gordy war (mal kurz während des Hurricans) in Lunenburg um bei der Feuerwehr zu fragen ob die Zeit haben uns zu helfen.
Er kam zurück und sagte, alles unter Wasser in Lunenburg. Die sind ausgelastet.
An dieser Stelle viele Grüße an die Kameraden der FFW Reute. Anderes Land, selbes Spiel.
Nun stürmt es nur noch heftig, mit ca 140 km/h. Ein Hurricane mit 300 km/h ist unvorstellbar. Was für eine Naturgewalt!
Video nach dem Hurricane, ca 1 Stunde später: (dazwischen waren wir mit Wasser schöpfen beschäftigt – leider keine Zeit für ein Video)
Völlig erschöpft bringt Christine die Kinder ins Bett. Ich schlafe schon auf dem Sofa.
Nach dem kurzen Nickerchen bin ich wieder etwas erholt und wir trinken bei Kerzenschein ganz romantisch ein Glas Wein.
Nochmals der Blick in den Keller. Die Wassermelder nochmals strategisch platziert und ab ins Bett.
Im Schlafzimmer hört man erstaunlich wenig von dem ganzen Spektakel.
Wenn das jetzt “alles war” sind wir wirklich glimpflich davon gekommen.
So konnten wir sehen was für den Winter noch zu optimieren ist. Im Winter möchte man keine 2 Tage Stromausfall haben.
Ca. 36 Stunden hat es gedauert bis wir wieder Strom aus der Steckdose hatten.
Wir sind dankbar, dass wir so gut weg gekommen sind und so tolle Nachbarn haben!!
Sonntag 08.09.2019
Freundlicherweise ist Gordy an ihr Ferienhaus gefahren (sind nur 1,5 Stunden einfach) und hat die Motorsäge und das Stromaggregat geholt. So hatten wir nach 24 Stunden wieder Strom, zumindest für den Kühlschrank, die Kaffemaschine (das war das erste gerät das wieder in Betrieb genommen wurde) und um die Handys zu laden.
Später stellte sich heraus, dass Gordy einen 20 Pfund Lachs vom Frühjahr in der Gefriere hat und der nicht auftauen sollte. Ein wahrer Fliegenfischer eben.
Der nächste Morgen war kalt. Uns hat es alle gefroren. Also ca. 10 Kerzen anzünden und hoffen, dass es bald wärmer wird.
Im Keller ist ein “Notofen” mit Holzbetrieb, der war jedoch noch nie in Benutzung. Na, das ändert sich heute.
Wer einen Ofen in Betrieb nimmt sollte vorher zumindest mit einem feuchten Lumpen drüber fahren. Bei der Hitze gibt es ganz feinen Staub oder Rauch. So sehen wir, die Rauchmelder im Haus sind vernetzt und funktionieren.
Der Ofen macht im Keller schön warm, langsam zieht die Wärme auch ins Erdgeschoss. Was für ein Gestank mit dem Staub den ich da aufgewirbelt hatte.
Am Tag danach schein die Sonne und ist strahlend blauer Himmel als ob nichts war. Nur ein gefallener Baum, Tausende von Blätter und Zweige erinnern noch an den Hurricane Dorian.
So verbringen wir einen Arbeitstag im Garten mit der Motorsäge, den umgestürzeten Baum verarbeiten, Äste und Blätter aufräumen, den Rasentraktor als Laubsammler umfunktionieren.
Die Kids spielen auf dem umgefallenen Baum, ihrem neuen Spielgerät im Garten. Christine schleppt fleißig Baumrugel und Äste.
Die Kanadier drängt es nicht wirklich in den Garten. Mal hier und da lässt sich jemand blicken, jedoch nicht lange und verschwindet dann wieder im Haus.
Wie gelassen die Kanadier sind. Toll.
Gerne hätte ich hier eine Scheibe davon abgeschnitten.
Anmerkung von Christine
Ach was für Tage.
Wir warten mit etwas gemischten Gefühlen auf Dorian. Ich dachte mir, dass wir das gut überstehn, war dennoch aufgeregt, “Was erwartet uns da”? Wir hatten Wasservorräte, ich habe vorgekocht, wir hatten dann noch überlegt, ob wir nen Koffer packen. Doch wo fährt man hin bei einem Hurrican? Vielleicht hätten wir zu den Nachbarn flüchten müssen. Schlafen wir nachts oder halten wir Wache.
Die Kinder waren voller Aufregung. Es hat gewindet und geregnet, das Meer hatte Wellengang wie noch nie. Alles war wie ein aufregendes Ereignis. Und Jochen war angespannt. Ich denke er hat auch die Kinder etwas angesteckt.
Dann fiel sehr früh der erste Baum. Natürlich standen wir alle am Fenster und haben ihn fallen sehn.
Und dann stieg das Wasser. Unser See hinterm Haus war plötzlich in unserem Garten und bei den Nachbarn. Das Meer – ich weiß es nicht, war das Meer drüben oder einfach nur das Wasser von dem Regen, Regen, Regen. Dann sagte Jochen, ob der Keller dem Wasser vom See standhält? Keine 3 Sekunden später rief ich laut: Der Wassermelder im Keller meldet sich, wir haben Wasser.
Dann sind wir gerannt. Es waren immer nur so 10-15 cm Wasser in einem Raum. Die Kinder waren klasse, mit Schüsseln und Behältern haben sie mitgeholfen das Wasser in Eimer zu schöpfen. Ich hab mit Tüchern gearbeitet. Dann kamen die Nachbarn – Lisa und Gordy sind so tolle Menschen, sie haben uns geholfen. Lisa ist immer wieder zu sich rüber, da sie auch ein wenig Wasser hatten: “Nur ein klein wenig und sie könne dazwischen gerne bei uns helfen”.
Wir waren 2 1/2 Stunden im Keller, nur bei der Leerung der Eimer sah ich, wie es draußen regnete. Es war nicht klar, ob nicht etwa mehr Wasser reinkomme wie ich rausschütte.
Dann ein kurzes Abklären, wie es den Nachbarn geht, essen und dann sind wir ins Bett. Irgendwann in der Nacht war der Sturm vorbei. Das war ein beruhigendes Gefühl.
Am nächsten Morgen waren wir die ersten die Draußen waren. Ich hab dann erst die Straße frei geräumt. Ein Nachbar kam kurz dazu. Dann waren wir den ganzen Tag mit Pausen beschäftigt, die zwei (ein zweiter hatte einen Riss) Bäume zu versorgen, Blätter und Äste von unserem und dem Rasen der Nachbarn weg zu machen.
Puh, wir sind immernoch müde und etwas kraftlos. Ob das von der Arbeit oder von der Anspannung kommt wissen wir nicht.
Dorian gehört jetzt wohl zu unserm Abenteuer, auch wenn ich das so nicht mehr unbedingt brauche.
Nen Hurrican, das kennt man sonst auch nur aus der Zeitung. Irgendwie wahnsinn!
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